B.O.f.H.: Weather Option

So, nach langer Zeit mal wieder ein Text vonm Florian Schiel, von unserem geschätzten Bastard Operator from Hell:

Ich sitze in meinem Allerheiligsten, habe die Schutzschilde hochgefahren (immerhin hat das Semester gerade begonnen!) und beobachte fasziniert die Nachrichten der Boersenticker. Diese Finanzkrise! Wirklich beachtlich!
Fast tut es mir leid, dass ich mich damals fuer die akademische Laufbahn entschieden habe; meine Bastard-Kollegen an den Boersenplaetzen muessen
sich seit Wochen in einem staendigen Taumel der Begeisterung befinden. Ich
meine, wer kann man schon mit wenigen Mausklicks ein paar Milliarden an
Kundengeldern – oder noch besser an Steuergeldern – verbraten und nachher
mit einer fetten Praemie (und vielleicht einer noch fetteren Abfindung)
zum naechsten Disaster ziehen? Boersenmakler, das ist doch der wahre
Bastard-Job, wie wir ihn uns alle wuenschen – naja, vielleicht nicht alle,
ich jedenfalls. Stattdessen sitze ich hier an dieser truebseligen
Exzellenz-Uni und vergraule Studenten aus meinem Hauptseminar!

Hmm, mal schauen. Ich stoebere ein paar Stunden in Wikipedia und anderen
WWW-Quellen herum, bis ich auf eine vielversprechende Seite ueber Optionen
stosse. Warum eigentlich nicht? Im schlimmsten Fall verliert die Uni ein
paar hundert tausend Euro, und was juckt mich das! Ich bin unkuendbar!

Ich greife zum Telefonhoerer und rufe bei der Germanischen Bank an.
So und so, erklaere ich nacheinander einem halben Dutzend Sachbearbeitern,
an die ich nach alter Wanninger-Tradition durchgereicht werde, ich suche
einen Kundenberater spezialisiert auf den Optionshandel. Nach nicht mal
zwanzig Minuten spaeter lande ich bei einem Herrn Wiesel, der sich
Spezialist fuer den Terminhandel ausgibt. „Also“, sage ich, „das Problem
ist ganz einfach: Wir, das heisst die Uni Muenchen, wollen eine Option auf
das Muenchner Wetter abschliessen.“ „Aha, soso. Aeh … eine Option auf
das Wetter also. Das machen wir aber eigentlich nicht …“ „Wetterderivate
werden doch schon seit 1999 an den Terminboersen gehandelt“, unterbreche
ich Herrn Wiesel mit erstauntem Tonfall, „und Sie als moderne Bank koennen
so etwas nicht…?“ Herr Wiesel beeilt sich zu versichern, dass die
Germanische Bank in allen Bank- und Boersengeschaeften hoechst kompetent
ist. „Also, eben“, sage ich, „ich erklaere Ihnen jetzt mal kurz, wieso wir
eine solche Option erwerben wollen: Wir planen fuer naechste Woche am
Dienstag um genau Null Uhr 34 und 56 Sekunden ein Experiment
durchzufuehren, bei dem wir mit einem Komplex-Reversiven-Argon-Laser, kurz
KRAL einen hochenergetischen Quanten-Impuls knapp an der Mondoberflaeche
vorbei auf den Jupitermond Titan schiessen werden, mit KRAL also …
koennen Sie mir soweit folgen?“ „Aeh … aehm … KRAL … ja, natuerlich
… aeh …“

Mit anderen Worten:    PHYSICS BULLSHIT MODE ON

„Der KRAL-Impuls wird von der Atmosphaere des Titan reflektiert und
kehrt genau dann zur Erde zurueck, wenn der Mond theoretisch um genau
seinen Durchmesser weitergewandert ist. Trifft der Impuls nicht mehr bei
uns ein, bestaetigt das die Theorie von Prof. Dr. Malzenweisser, dass
naemlich der Mond aufgrund Einsteinscher Gravitationsfluktuationen nur
scheinbar weiterwandert, sich in Wirklichkeit aber in einem Zustand der
makromechanischen Schroedinger-Ungewissheit befindet. Mit anderen Worten,
er koennte von uns aus gesehen weitergewandert sein, aber vom Titan aus
gesehen vielleicht auch nicht, je nachdem, ob KRAL den Mond trifft oder
nicht, verstehen Sie?“ Ein paar Sekunden hoerte ich nur das Rauschen von
Herrn Wiesels Windoofs-Kiste in der Leitung, und ich fuerchte schon einen
Moment lang, dass ich mit meinem Gefasel einen Brain Short Erase (BSE)
ausgeloest habe, aber dann kommt: „… aeh … ja … aber … aber, was
hat das …“ „Sehen Sie, KRAL hat ca. 2 Millionen Euro gekostet. Und wenn
naechste Woche am Dienstag um Null Uhr 34 und 56 Sekunden der Himmel ueber
unserem Labor bewoelkt sein sollte, dann war alles umsonst. Die naechste
moegliche Konstellation von Mond und Titan ereignet sich erst wieder in 24
Jahren.“ „Ah … aaah …“ (Geraeusch eines fallenden Groschen mit 60 dB)
„… ich verstehe … Sie wollen Ihr Risiko eines Totalverlustes von 2 Mio
mit einer Option auf schlechtes Wetter hedgen …“ „Was immer Sie sagen –
solange Sie zahlen, wenn es bewoelkt ist…“ Herr Wiesel verspricht, die
Angelegenheit sofort mit der Optionsabteilung durchzurechnen und sich dann
wieder zu melden.

Waehrend des Gespraechs hat es mehrmals ganz zaghaft an der Tuere
zu meinem Allerheiligsten geklopft. Klopfen kann man es eigentlich
schon gar nicht mehr nennen, eher ein zartes Streicheln mit mit einer
dauerweichgespuelten Gaenseflaumfeder. Bestimmt ein paar unerschrockene
Vordiplomstudenten, die herausfinden wollen, wo mein angekuendigtes
‚Hauptseminar zur Makroskopischen Quantenstatistik‘ stattfindet
(Studenten, die es bis ins Hauptfach geschafft haben, kommen bestimmt
nicht mehr auf die abstruse Idee, an meiner Tuere zu klopfen; dafuer sorge
ich regelmaessig in den Vordiplomspruefungen). Dabei braeuchten sie bloss
zu nachzulesen, was im Vorlesungsverzeichnis steht. Unter ‚Ort und Zeit
der Veranstaltung‘ steht dort klipp und klar:

„Ort und Zeit sind retro-reaktive Aspekte der makroskopischen
Unschaerferelation. Da der Zeitpunkt dieser Veranstaltung mit
unendlich asymptotischer Genauigkeit auf Di 10 Uhr festgelegt
wurde, unterliegt der Ort der Veranstaltung einem gleichverteilten
Quantenfeld-Kernel-Operator. D.h. die Veranstaltung kann potentiell
ueberall sein, bis jemand sie findet.“

Damit sollte eigentlich alles gesagt sein. Aber nein, es gibt immer
wieder den einen oder anderen Superstreber, der meint, es besser wissen zu
muessen!

Das Telefon klingelt und ich sehe, dass es die Germanische Bank ist. Herr
Wiesel ist dran und verkuendet, dass die erforderlich Praemie erstens
davon abhaengt, wann wir die Wetteroption kaufen und zweitens wie dann der
Wetterbericht fuer Muenchen ist. „Wenn Sie jetzt sofort abschliessen, dann
koennte ich Ihnen die Option zum Preis von 630.000 Euro anbieten“, sagt
er. Ich hacke mich kurz in den Rechner der Finanzbuchhaltung und schaue
nach, was auf dem Konto der Uni so rumliegt (ihr werdet’s nicht glauben,
aber die gesamte Uni hat tatsaechlich ein einzelnes Girokonto bei der
Landesbank!). Wie ueblich lungern dort so eine paar Zig Millionen herum;
wenn davon 600 Riesen fehlen, merkt das bis naechste Woche bestimmt
niemand! Ich sage Herrn Wiesel, dass das gebongt sei, und gebe ihm die
Daten fuer den Bankeinzug. Um die armen Buchhalter der Uni nicht noch mehr
zu verwirren, gebe ich als Konto des Beguenstigten gleich mein eigenes
Girokonto an. Herr Wiesel schluckt auch das ohne mit der Wimper zu zucken.

Wenn ich oder sonst irgendein nobody versuchen wuerde, vom Konto der Uni
auch nur 6 Euro abzubuchen, ohne dass dafuer vier Formulare mit jeweils
drei Unterschriften in fuenf Kopien abgezeichnet wurden, dann wuerden
sofort ueberall die Alarmglocken losgehen. Aber wenn die Germanische Bank
mal eben per Lastschrift 600.000 Euros einzieht, kuemmert sich kein Mensch
darum. (Klar, IRGENDWANN faellt das dann schon mal auf – vermutlich aber
erst, wenn der Bayerische Rechnungshof wieder vorbeischaut.)

Den Rest der Woche verbringe ich im Versuchskraftwerk im Innenhof der Uni.
Die Kraftwerkstechniker, vermutlich irgendeine obskure Kreuzung aus
Maschinenbau- und Elektro-Ingenieuren, sind total begeistert, dass sich
endlich mal ein externer Kollege fuer ihr todlangweiliges
Versuchskraftwerk interessiert. Nach zwei Tagen verstehe ich auch
gruendlich, wieso sich niemand sonst dafuer interessiert: letztendlich
laeuft es darauf hinaus, Wasser durch Verbrennen von Gas zum Kochen zu
bringen und damit eine Dampfmaschine anzutreiben. Wahnsinnig spannend!

Ich bekaempfe eisern meine staendigen Gaehnkraempfe und lasse
mir alle Details haarklein erklaeren. Habt ihr einen Ingenieur im
Freundeskreis? Ich kann euch nur warnen: Frage niemals einen Ingenieur
nach einer technischen Erklaerung, ohne vorher gut und reichlich gegessen
zu haben! People get hurt that way! Immerhin, als ich am entscheidenden
Abend mit meinem nachgemachten Dietrich ins verwaiste Kraftwerk eindringe,
weiss ich ohne hinzusehen, welche Haehne ich aufdrehen muss, um den
Feuchtigkeitsgehalt der Abgase auf 100% zu treiben. Als ich wieder auf die
Strasse trete, hat sich bereits eine dichte Dampfwolke ueber das
Uni-Viertel gelegt…

Bleibt nur noch anzumerken, dass sich das Versuchskraftwerk direkt
neben dem Gebaeude der experimentellen Physik befindet, welches ich
im Optionsvertrag als Ort des Experiments angegeben habe. Und auf dem Dach
der Physiker ist eine Messstation des Deutschen Wetterdienstes – so ein
Zufall!

Ich denke, ihr versteht jetzt ein wenig besser, wieso es zur Finanzkrise
kommen MUSSTE – und wer am meisten davon profitiert hat…

(Bastard Regel #657: Irgendjemand profitiert immer – die Kunst ist,
dieser Jemand zu sein!)

Copyright Florian Schiel 2009

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Datum: Freitag, 20. Februar 2009 12:31
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